Gedicht: Träume!

Alles, was „bleibenden Eindruck“ hinterlässt, hat somit eine magische Auswirkung. Wenn die Reise im Traum auch noch sehr düster ist, ist die Mystik perfekt.

Ich begegnete mal einer Gestalt
von der ich nicht wusste, was ich halten sollte.
Plötzlich stand sie vor mir, in einem Wald,
und ich fühlte, dass ich ihr nie wirklich begegnen wollte.

Sie sah recht merkwürdig aus.
Alles Mögliche kam mir in den Sinn.
Trotzdem machte ich mir nicht viel draus
und ging langsam zu ihr hin.

Als ich direkt vor ihr stand,
war meine Angst schon fast von dann`.
Sie griff nach meiner Hand
und lächelte mich dabei an.

„Du kommst gerade recht!“,
sagte sie in einem freundlichen Ton.
„Dein Weg ist aber noch sehr weit!“, fügte sie hinzu.
Wer ich war, das wusste sie also schon.

Ich begleitete sie auf ihr Geheiß zu ihr nach Haus`.
Als Eingangstür war dort ein Tor.
Dabei sah ich wohl wieder etwas ängstlich aus,
denn ein leises Lachen stieß aus ihr hervor.

„Warum bin ich bei dir?“, fragte ich.
Und ich sagte ihr, ich wolle wieder geh ‘n.
„Schau` in diese Kugel dort…“, sagte sie,
„…, dann wirst du es versteh`n“.

Als ich in die Kugel sah,
flog mein ganzes Leben an mir vorbei.
Ich bekam es nun richtig mit der Angst zu tun,
denn meine Träume waren auch dabei.

Mein Herz raste, mir schlotterten die Knie
und ich war schon im Begriff zu geh ‘n.
Dann stockte mir fast der Atem,
denn sogar meine Zukunft konnte ich seh`n.

Aber kaum waren wir bei ihr,
schickte die Gestalt mich schon wieder fort.
Also nahm ich meine Beine in die Hände
und rannte so schnell ich konnte weg von dort.

Wer diese Gestalt nun war,
das weiß ich bis heute nicht.
Aber ich weiß noch heute genau, was ich sah
und darauf lege ich viel Gewicht.

Ich weiß auch noch: es war alles nur ein Traum,
aber seitdem bin ich nicht mehr blind.
Denn heute ist mir klar, man glaubt es kaum,
wie wichtig uns `re Träume sind!

ENDE

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Kurzgeschichte: Das Haus des Pfarrers

Draußen lag noch Schnee, als ich zusammen mit meiner Frau Susanne, mit unseren beiden Kindern Lara und Tobias, und mit dem Makler das Haus besichtigte. Susanne und ich hatten ein Faible für Altertümliches, das Fachwerkhaus war am Tag unserer Besichtigung nicht beheizt. Fachwerkhäuser haben recht kleine Fenster, und wegen des sowieso trüben Wetters war es drinnen logischerweise noch etwas finsterer als draußen. Ausschließlich das elektrische Licht half uns, unser neues Haus zu entdecken.

An einem sonnigen und warmen Frühlingstag beschloss ich, mich zum Entstauben und zum Aufräumen in der obersten Etage, diese endete mit einem Podest. Der Rest des Hauses war längst vom Müll und vom Staub befreit und alles eingeräumt. Susanne war in der Arbeit und die Kinder in der Schule.
Auf dem gesamten Holzpodest oben standen einige kaputte und völlig verdreckte Möbel sowie einige Holzkisten. Außerdem ein großer, alter und völlig eingestaubter Schreibtisch mit ebenso verstaubten Büchern. Allein das Entstauben würde noch Tage dauern, stellte ich fest. Ich entstaubte jedes Teil einzeln, bevor ich das Zeug nach unten trug, um nicht mit dem Wischen von vorne beginnen zu müssen.
Lara und Tobias waren am Nachmittag von der Schule heim gekommen, also unterbrach ich das Reinemachen. Wir kochten gemeinsam, als auch Susanne von der Arbeit heim kam. Dann aßen wir, danach gingen die Kinder zu Freunden spielen. Anschließend gingen Susanne und ich nach oben auf das Podest zum “Nachmittagssport“. Wir kehrten erst jedes Teil ab und gingen dann sorgfältig mit dem Staubsauger drüber und zum Schluss nochmal mit einem leicht feuchten Lappen, ehe wir jedes Teil nach unten trugen.
Schon beim Anfassen der Bücher stellten wir fest, dass es gebundene Bücher waren, also sehr alt. Manche Bücher fielen schon beim bloßen Ansehen beinahe auseinander. Wir entstaubten vorsichtig Buch für Buch, legten jedes einzeln auf den Boden, dann den Schreibtisch und legten dann Buch für Buch darauf. Wir beschlossen, in jedes Buch rein zu lesen, ehe wir überhaupt eines wegwarfen.
Susanne erkundigte sich, was denn aus dem Buch geworden sei, dass ich noch vor unserem Umzug zu schreiben begonnen hatte.
»Nichts…«, entgegnete ich leicht mürrisch, man soll ja jemanden nicht an etwas erinnern, was der- oder diejenige nicht hat. Ich verwies auf die Dauer der Auswahl des Hauses, den Hauskauf, die Formalitäten, und so weiter.
»Bitte verlier nicht den Anschluss ans Schreiben. Du hast eine Gabe.«, sagte sie und gab mir während des Wischens einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Sie hatte ja Recht: die Lektoratsabteilung meines Verlegers hatte auch schon nachgefragt, und nach dem Hauskauf und den anderen Beschaffungen musste langsam wieder Geld rein.

Einige Wochen später hatten wir etwa ein Drittel der Bücher, die wir gefunden hatten, ausfiltern können, als eines schon von Beginn an unsere Aufmerksamkeit erregte. Trotz des ganzen Staubes konnte man das Papier noch gut riechen, die Seiten waren teils lose. Um die Tinte nicht zu verwischen, rieb ich mit einem trockenen Lappen vorsichtig über die ersten Seiten, das brachte tatsächlich etwas, der Schmutz war also nicht von Anfang an auf den Seiten. Um zu beurteilen, ob das komplette Buch im selben Zustand war, begann ich es Seite für Seite von hinten nach vorne zu blättern, als mir auffiel, dass etwa die Hälfte des Buches nicht beschriftet war. Und schon hatte ich eine weitere Aufgabe für die nächsten Wochen: nämlich Seite um Seite zu entstauben und sie zu lesen.
Zum Sommerbeginn etwa nahm mein Roman endlich Gestalt an, und mit dem Entstauben des alten Buches war ich soweit, dass man darin lesen konnte, was ich bis dato zum Teil auch getan hatte. Dem Schreibstil entnahm ich, dass es sich um ein Tagebuch handelte, der letzte Eintrag war auf den 16. August 1648 datiert. Noch nie zuvor durfte ich ein solch altes Buch in den Händen halten, und das auch noch von Hand geschrieben, umso größer meine Neugier.
Zwar war in dem Tagebuch kein Name zu finden, dafür war die (Lebens-)Geschichte dieses Mannes umso bewegender. Er war ein Pfarrer, ein evangelischer Geistlicher also. Evangeliken unterstehen nicht dem Zölibat, ganz im Gegensatz zu den Katholiken, die nicht heiraten dürfen, außer Gott. Der Pfarrer im Tagebuch hatte keine leichte Kindheit, seine Eltern waren arm, hatten Mühe, ihn und seine älteren Geschwister zu ernähren. Er war der einzige in seiner Familie, dem es zu studieren gelang. Die Familie seiner späteren Gemahlin war wohlhabend, in seinem Tagebuch bezog sich das Wörtchen Familienplanung noch auf die sprichwörtliche Bedeutung, ganz im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zeitgenössinnen- und Genossen. Er erzählte von seiner Kindheit, von seinen glücklichen Ehejahren mit seiner Frau, bis hin zur tragischen Wende, als seine gesamte Familie samt Verwandtschaft bei einem Hausbrand ums Leben kam. Seither lebte er einem Katholiken ähnlich nur noch allein und nur noch für sein Pfarramt, bis er schließlich einsam verstarb, jedenfalls wies sein Tagebuch über Jahrzehnte lang nichts mehr von einer Begleitung in seinem Leben mehr auf. Über Jahre, so konnte man interpretieren, zeigten die Bewohner der Stadt Betroffenheit und Verständnis zugleich, wollten ihn beschenken, aber er nahm nichts an, wollte nur noch für andere da sein. Er redete sich ein, zu wenig getan zu haben, als dass er hätte seiner Familie während des Hausbrands helfen können. Vermutlich wartete er über viele Jahre auf den Tod, auf seine Erlösung. Susanne und ich waren derselben Ansicht, dass er ein derartiges Ende nicht verdient hatte.
Ich beschloss, zusätzlich zum angefangenen Roman auch das Tagebuch des Pfarrers als Roman zu schreiben. Anstatt des riesigen Einschnittes in sein Leben schrieb ich, um die Echtheit seiner Geschichte zu wahren, dass “nur“ jemand aus seiner Verwandtschaft verstarb, seine Kinder und seine Frau ließ ich im Roman am Leben, und am Ende ließ ich ihn mit seiner Frau als Missionar durch die Welt segeln – passend zum 17. Jahrhundert. Da er im Tagebuch nie seinen Namen nannte, fand ich im Internet heraus, dass zu dieser Zeit der Vorname Johann “voll im Trend“ war, den ich ihm dann auch zuschrieb.

Gegen Jahresende waren beide Werke fertig, überarbeitet und mehrfach unterwegs, als der Paketdienst sturm klingelte. Im Karton befanden sich die ersten Belegexemplare meines vorausgegangenen Romans. Kaum hatte ich den Karton geöffnet, erschrak ich durch ein zweites Sturmklingeln.
Weil ich Susanne, Lara, Tobias, Johanns` Tagebuch und meine Bücher noch haargenau vor Augen hatte, brauchte ich einen Moment, dass nicht das Klingeln an der Tür, sondern der Wecker mich aus einem Traum aufwachen ließ.

 

Warum auch immer konnte ich während des gesamten Traums die Gesichter meiner Frau, die meiner Kinder, und das des Maklers nur verschwommen wahrnehmen, etwa milchglasähnlich. An das Gesicht des Paketdienstfahrers kann ich mich bis heute nicht erinnern. Und die Körper meiner Frau und meiner Kinder vernahm ich nur als Silouhette. Susanne war in meinem Alter, leicht mollig, und ihr dunkles, bis über die Schultern langes Kopfhaar war gelockt. Lara hatte dunkelblondes bis braunes Haar und Tobias wie Susanne. Ihre Gesichtsformen und ihre Augenfarben blieben mir im gesamten Traum verborgen.
Sollte mir der Traum etwa deuten, dass ich nach einer Frau suchen soll, die Susanne heißt, leicht mollig ist, und dunkle Haare hat, um mit ihr eine Familie zu gründen? Konzentrieren wir uns auf das Haus und auf das Tagebuch.

Ein paar Jahre später war ich in einer Kleinstadt Nähe Köln zu Besuch. Unterwegs entdeckte ich ein Fachwerkhaus, und ich spürte, dass es mir etwas mitteilen will. Entschlossen bat ich meine Gastgeberin, anzuhalten und ich stieg aus, um dieses Haus nur mal eben schnell zu fotografieren. Dann erzählte ich meiner Bekannten von dem Traum.
Inzwischen wohne ich in diesem Ort. Irgendwann, ich war auf dem Weg zum Supermarkt, passierte ich die Straße, an der das Haus steht. Ich fasste Mut, wollte nicht wildfremden Menschen von meinem dämlichen Traum erzählen – ich befürchtete, man würde mir nicht glauben, und ich war nicht interessiert, zum Kleinstadtgespräch zu werden.
Zu meiner Überraschung traf ich den Eigentümer an. Anhand seiner Reaktion war unschwer zu erkennen, dass er von meiner “Geschichte“, wie er sie nannte, nicht viel übrig hatte (ich erzählte ihm auch von dieser Kurzgeschichte). Eigentlich hatte ich mich auf eine derartige Reaktion geistig vorbereitet, ließ aber nicht gleich nach. Ich konnte dem Mann erklären, wo genau wir im Haus am Tag unserer Besichtigung standen, also wo der Flur des Hauses ist, und das Wohnzimmer, und in welche Richtungen die Treppen nach oben bebaut sind. Ab da wurde der Mann offener, hörte zu.
Ich erzählte ihm auch von dem Buch und von “Johann“, dessen Geschichte ich in meinem Traum zu Ende geschrieben hatte. Der Eigentümer hielt einen Moment inne und verriet mir dann mit großen Augen, dass er sich im Stadtarchiv über sein jetziges Haus erkundigte und er herausfand, dass im Jahr 1648 ein Pastor das Haus bewohnte, der mit Vornamen Johann hieß. Am Ende dieser Treppen befindet sich allerdings kein Podest, wie es in meinem Traum vorhanden war, sondern der Speicher. Also gibt es dort auch keinen Bücherstapel, und erst recht kein Buch über “Johann“.

Betreten durfte ich das Haus nicht, er hatte es nach eigenen Angaben eilig. Wenn ich ehrlich sein darf, habe ich den Mann wohl überrumpelt, und vielleicht auch überfordert. Bis heute habe ich nie mehr dort geklingelt.

Fachwerkhaus

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